Das Jahr der Neuanfänge. Ich liebe Veränderung, Pläne zu schmieden um dann alles zu hinterfragen. Sprich, ich bin entscheidungsfreudig, hadere aber später gerne mit genau den getroffenen Entscheidungen und bin mir plötzlich nicht mehr sicher, ob es wirklich richtig ist. Und jetzt, eine Entscheidung mit großer Tragweite, wie ein Umzug zurück in die Heimat. Ob das gut geht?

Ich bin hin und her gerissen zwischen der Vorfreude auf das neue Leben und der Angst, wir könnten uns dort nicht wohlfühlen. Mir ist vieles fremd geworden und ich bin mir selbst nicht sicher wie sich das Leben auf dem Land wieder anfühlen wird. Andererseits möchte ich auch nicht mehr unter so vielen Menschen leben. Es stresst mich mir meinen Weg durch Menschenmassen zu bahnen. Der furchtbare Verkehr in der Stadt und der dauernde Lärm.

Der Emberg gegenüber unserer Alm

Dabei leben wir gar nicht direkt in einer Stadt, sondern in der Peripherie von Stuttgart. Die Innenstadt meiden wir und sind nur dort, wenn es sich mal nicht vermeiden lässt. Früher war das anders. Stuttgart war mir zu klein und provinziell. Ich fand es furchtbar von Berlin-Kreuzberg nach Baden-Württemberg zu ziehen und hatte Angst vor einer drohenden Kehrwoche und übertriebenem Spießertum.

Dem wollte ich schon mit 18 Jahren wie viele Andere auch entfliehen. Bloß weg aus dem kleinen Dorf im Süden Österreichs. Ich wollte Neues kennenlernen, die Welt entdecken und mit staunenden Augen Abenteuer erleben. In unserem Dorf war mir alles zu eng, zu nah und nahm mir die Luft zum Atmen.

Meine Schwester war 2 Jahre zuvor als Au-pair Mädchen nach London gegangen. Ich entschied mich für Paris. Nach dem Jahr in Frankreich ging ich zu meiner Schwester nach London, dann nach Wien und schließlich landete ich in Berlin und lernte dort meinen ersten Mann kennen.

Eine Rückkehr in mein altes Heimatdorf war für mich völlig abwegig und unvorstellbar – für viele Jahre. Genau genommen für über 28 Jahre.

Doch nun haben Michael und ich uns entschlossen, das Haus meiner Großeltern in Österreich zu renovieren und dort einzuziehen. Eigentlich müsste meine planungsverliebte Seele Luftsprünge vollführen.

Dass dem nicht so ist, liegt wohl an meiner anderen Seite. Ich hinterfrage alles und jeden, mich und meine Entscheidungen, besonders intensiv. Und das vermutlich aus gutem Grund. Die meisten meiner getroffenen Entscheidungen wurden aus einem Impuls heraus getroffen. Immer hatte ich das dringende Bedürfnis etwas verändern zu müssen, so einfach nicht weitermachen zu können. Bislang funktionierte das meist gut – für mich zumindest.

Auf der anderen Seite ist da mein ausgeprägter Wille. Meine Mutter sagt immer, dass ich meinen Willen früher schon immer durchgesetzt hätte. Scheinbar konnte ich so lange nerven, bis mein Gegenüber, in den meisten Fällen eben meine Mutter, die Waffen gestreckt und meinem Willen nachgegeben hat. Ich kleine Tyrannin…. Und nein, ich bin nicht stolz darauf.

Und nun tatsächlich wieder zurück in das kleine Dorf umringt von Bergen aus dem ich vor bald 30 Jahren so dringend weg wollte.

Wenn man Entscheidungen treffen muss, braucht man nicht Zeit, sondern Mut!

Will ich mir den nahenden Umzug schönreden, erwähne ich vor meiner inneren Unsicherheit einfach meine Eltern. Sie brauchen langsam Hilfe, haben sich ihr Leben lang um alles gekümmert, mich immer und überall unterstützt und haben jetzt selbst das Recht auf Unterstützung (das sie nie einfordern würden).

In den Häusern und auf der Alm ist viel zu tun und mein Vater, der sich in den letzten 50 Jahren darum gekümmert hat, will die Verantwortung nicht mehr alleine tragen und freut sich sicher, einiges abgeben zu können.

Außerdem ist unser künftiges Zuhause das Haus meiner verstorbenen Großeltern in dem ich mit aufgewachsen bin, es ist also ein geliebter Ort mit wohligen Erinnerungen. Manchmal stelle ich mir vor, das Haus aus Respekt für meine Oma (Opa ist leider früh verstorben) wieder schön zu machen.

Natürlich kann man das Ganze auch anders sehen – nämlich so: das Haus ist günstig zu bewohnen, wir zahlen schließlich keine Miete. Meine Eltern sind direkt nebenan im Haus – sprich, sie können bei ihren täglichen Spaziergängen meinen Hund mitnehmen, wenn mir die Zeit dazu fehlt und sie können im Sommer vielleicht auch mal die Blumen gießen, wenn wir nicht da sind.

Rückkehr in MEINE Heimat – und was ist mit Michael?

Für mich ein heikles Thema. Michael würde sagen, dass er den Umzug genauso möchte wie ich. Mittlerweile will er es wohl wirklich aber ich stehe nun mal von Kindesbeinen an unter Generalverdacht meinen Willen immer zu bekommen. Seit ich das Hinterfragen so ernst nehme, komme ich nicht umhin festzustellen, dass mein lieber Mann mir vermutlich auch ins hinterletzte Kaff, was es ein bisschen auch ist (trotz baldigem Glasfaser Anschluss – yeah!) folgen würde.

Mir ist eine große Begeisterungsfähigkeit zu eigen. Deshalb bin ich mir auch nicht so ganz sicher, ob ich Micha mit der Verheißung auf

  1. Baden in kristallklaren Seen, von denen soooo viele quasi um die Ecke liegen
  2. Häufigen Besuchen im italienischen Nachbarland respektive auf einen Kaffee (ist ja nur 40 min entfernt) oder einem Tag am Meer (ist ja nur 2,5 Stunden entfernt) oder Ruhe genießen auf der Alm (naja, ihr wisst was ich meine)
  3. Großartigen Fahrradstrecken (lass uns E-bikes kaufen)
  4. Günstigem Wohnen – dann können wir in einem warmen Land überwintern…

geködert habe. Meiner Entscheidungsfreude geschuldet habe ich manchmal das Gefühl, meine Lieben geben solche gerne an mich ab, weil sie wohl denken, dass mir das so großen Spaß macht (als netten Nebeneffekt kann ich dann auch für die Konsequenzen aus den Entscheidungen verantwortlich gemacht werden).

Doch sind es wirklich die Entscheidungen, die ich gerne treffe oder mag ich es einfach, die Kontrolle über mein und das Leben meiner Mitmenschen zu haben? Denn, so selbstkritisch muss ich sein, ich liebe es, wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstelle.

Trotzdem, Micha freut sich auf die Veränderung. Er wird ein eigenes Musikzimmer haben für seine Gitarren, die ganzen Platten, das Keyboard, jede Menge Erinnerungsstücke und alles so gestalten wie es ihm gefällt. Er ist gespannt darauf, neue Sportarten zu entdecken, ist begeistert über die relative Nähe zum Meer und neugierig viele Fotomotive vor die Kameralinse zu bekommen.

Schließlich ist unsere künftige Heimat ein Ort an dem andere Urlaub machen.

Wie es sich für ihn tatsächlich anfühlen wird dort zu leben wird sich zeigen. Ich hoffe, er findet sich gut ein und wird sich in unserem Dorf irgendwann Zuhause fühlen. Denn ich bin mir sicher, seine Heimat bleibt Baden-Württemberg.

Zurück in die Heimat – Was ist eigentlich mit meinen Kindern, wenn ich wegziehe?

Gute Frage! Stelle sie mir ständig in durchwachten Nächten, wenn sich die Selbstvorwürfe erbarmungslos Gehör verschaffen.

Ja, die Kinder sind alle volljährig. Trotzdem, ich habe Angst davor, dass sich unser wirklich tolles Verhältnis abkühlen könnte. Dass ich, ein bisschen Egoismus muss sein, für sie einfach nicht mehr so richtig wichtig bin. Natürlich gehört es zum Erwachsenwerden dazu sich von den Eltern zu lösen und zu distanzieren. Finde ich auch alles gut so, mein Ego will aber trotzdem wichtig sein. Hier muss ich definitiv noch an mir arbeiten.

Vorgenommen habe ich mir für die ersten Monate auf jeden Fall, alle 4 bis 5 Wochen für 1 Woche nach Deutschland zu kommen. Unsere Wohnung lösen wir hier schließlich erst auf, wenn das Haus renoviert und einzugsbereit ist. Außerdem möchten wir neben der Kinder auch ein paar Freunde besuchen, in Österreich haben wir nämlich kaum Kontakte. Auch das wird uns fehlen, wenn erst der Alltag Einzug gehalten hat.

Mir ist vollkommen bewusst, dass Vorsätze dieser Art oft nicht wirklich gehalten werden. Wenn es mir aber wichtig ist, muss ich dafür sorgen, dass es bei mir eben anders läuft.

Das Orange des Hauses wird definitiv weichen müssen

Wie gesagt, ist dieses Jahr, das Jahr der Veränderungen. Mein Ältester sucht sich mit seiner Freundin eine eigene Wohnung – unabhängig von meiner Entscheidung. Die beiden möchten ihre Beziehung auf das nächste Level heben. Weg von der elterlichen Kontrolle, hin zu einem selbstbestimmten Leben als Paar.

Der Mittlere plant nach Heidelberg zu gehen und mit dem Studium zu beginnen – oder ein Jahr zu reisen. Man wird sehen.

Und der Jüngste wird im Herbst ein FSJ machen, entweder hier in der Region oder im Ausland. Auch das ist noch offen… Deshalb behalten wir unsere Wohnung hier auch bis mindestens Herbst. Man weiß ja nicht, ob jemand noch Bedarf anmeldet. 🙂

Gerade befinde ich mich jedenfalls in einer emotionalen Achterbahnfahrt. Einerseits, die Vorfreude auf das neue Leben und die Umsetzung von Lebensträumen, andererseits das schlechte Gewissen meinen Kindern gegenüber.

Ich hoffe, dass meine Jungs weiterhin gerne mit ihren Freunden auf unserer Alm Urlaub machen werden und wir unser vertrautes Verhältnis behalten werden. What’s app und Snapchat machen einiges einfacher. Zum Glück!

Dabei sind die Möglichkeiten, die sich uns bieten geradezu unerhört priviligiert, also absolut kein Grund zum Jammern. Mein Ego will wohl einfach Bestätigung und die Absolution genau das Richtige entschieden zu haben.

Es ist das Hadern mit getroffenen Entscheidungen und noch bin ich nicht soweit einfach dazu zu stehen. Denn wie so oft wenn man Neues wagt, muss man Altes zurücklassen und das tut erst mal weh.

In meinem Jahresrückblick 2021 und unter Umbau unseres 50er Jahre Hauses findet ihr mehr zum Thema.

2 Comments

  1. Vielen Dank für den Artikel – auch uns gehen viele ähnliche Fragen durch den Kopf, da wir nun vor einer ganz ähnlichen Situation stehen (Umzug von München nach Oberkärnten). Wir sind gespannt, wie es euch nach einem Jahr geht – habt ihr es geschafft, “anzukommen”?

    • Hallo Günther, wir leben auch in Oberkärnten 🙂 Und ja, es ist besser geworden, langsam fühlen wir uns mehr angekommen. Einen Update Artikel wird es übrigens bald geben. Doch trotzdem, unsere Freunde, Familie sind weiterhin in Deutschland. Euch alles Gute für den Umzug, das Einleben und dass alles gut über die Bühne geht und ihr glücklich seid. Ganz lieben Gruß 🙂

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