Erst mal vorab: ich mag den Begriff Empty Nest Syndrom gar nicht. Auf mich wirkt er angestaubt und überholt. Wenn ich Empty Nest höre, habe ich eine Frau Anfang 50 vor Augen. Unscheinbar, bekleidet mit einer Kittelschürze. Sie rennt schluchzend, mit nassen Augen und einem weißen Taschentuch wild winkend, hinter einem roten VW Golf her. Im Auto sitzt ihr Sohn oder ihre Tochter, die fernab der mütterlichen Zuwendung ihr eigenes Leben beginnen. Und sie bleibt zurück in einem Jammertal…. Ach, das ist so 80’s.

Zum Glück ist heute alles anders. Frauen definieren sich längst nicht mehr “nur” über ihre Rolle als Mutter. Wir haben Jobs, ein vielfältiges Leben mit vielen Aktivitäten, Freundschaften und tollen Hobbys. Wir sind aktiv und haben unser Leben soweit im Griff. Außerdem sind wir schön und selbstbewusst und genau – sportlich sind wir natürlich auch. Ja – wir brauchen dich nicht mehr Empty Nest Syndrom.

Doch etwas bleibt: Der Auszug der Kinder, oder auch der eigene Auszug aus dem Familienheim ist eine Zäsur im Leben. Viele durchlaufen in dieser Zeit das gleiche Gefühlschaos wie nach einer Trennung. Wer steckt das einfach ohne Emotionen weg? Ein Lebensabschnitt geht zu Ende. Stille kehrt ein und Rituale fallen von Heute auf Morgen weg. Aus der Familie wird im besten Fall ein Paar und häufig nicht mal das. Das tut immer weh. Müttern genauso wie Vätern. Dafür braucht es keinen Begriff, der die Komplexität ohnehin nicht mal annähernd beschreibt. Denn es sind ja nicht nur die Kinder die in ihr eigenes Leben entschwinden.

Oft fällt der Auszug der Kinder bei Frauen in die Peri- oder Postmenopause. Körperliche und seelische Veränderungen stehen an.
Der Job ist vielleicht anspruchsvoll und stressig, in der Beziehung ist die Partnerschaft eher einer Wohngemeinschaft mit 2 sehr guten Bekannten gewichen. Von hurra, endlich haben wir wieder Zeit nur für uns und treibens wild in jedem Zimmer, sind viele Paare häufig weit entfernt.

Anstrengende Themen die man auf die lange Bank schieben konnte, als die Kinder noch Aufmerksamkeit brauchten, stehen jetzt voller Erwartungen vor der Tür und wollen angegangen werden. Die Ausrede, mit denen man sie lange unterdrücken konnte, steigt grade ins Auto und fährt davon. Verlässt uns. Und das ist hart.

Die eigenen Eltern sind auch nicht mehr ganz so fit. Die nächste Care Arbeit steht also womöglich schon vor der Tür.
Und natürlich, als wäre das alles nicht schon heftig genug, merken manche, also ich und Michael zum Beispiel, dass das ja noch nicht alles gewesen sein kann. Aber wie gehe ich es an? Die Lebensmitte ist die Zeit der Rückschau und der Neuorientierung. Und der neuen Chancen – das ist Wunderbar. So much more to come.

Ich bin selbst mein bestes Beispiel. Mitten im Leben und so. Aber warum fühle ich mich seit unserem Wegzug aus Deutschland und dem Auszug ALLER 3 Söhne beinahe zeitgleich, oft so traurig?

Also doch Empty Nest? Von 0 auf 100

Letzten Sommer ging alles Schlag auf Schlag. Wir sind Ende Mai nach Österreich gekommen um unser neues/altes Haus in meiner alten Heimat zu renovieren. Da war eine meiner liebsten Freundinnen gerade erst ein paar Wochen tot und ich noch mitten in der Trauer um ihren Verlust.
Im Juli ist mein Ältester mit seiner Freundin zusammen gezogen, im September der Mittlere zum Studieren nach Heidelberg, wir endgültig nach Österreich und mein Jüngster in unsere Eigentumswohnung an unserem ehemaligen Wohnort. Bähm! Mein emotionaler Supergau!

Von außen betrachtet sieht die Geschichte ganz gut aus. Alle sind versorgt, glücklich, machen ihr Ding. Trotzdem ist noch viel Nähe da, Gespräche, Treffen, Austausch und ganz viel Liebe.

Jungs in der Almhütte
Die Jungs – ganz verschwitzt vom draußen Toben – damals in unserer Almhütte

Zum Glück bin nur ich traurig – nicht meine Jungs. Und wie so oft kommt die Trauer nachts – ohne Ablenkung, angeschlichen in der Stille. In diesen Trauermomenten habe ich unsere Familie meist aus längst vergangenen Zeiten vor Augen. Die Kinder, als sie süße kleine Jungs waren.
Wie sie mit mir kuscheln, ihre kleinen Händchen in meinen. Ich fühle ihre warmen kleinen Körper fest an mich geschmiegt. Ihr Lachen ist dann so präsent und beinahe spüre ich die zarte Haut ihrer Wangen. Die Trauer ist dann ganz kurz ganz mächtig. Es fühlt sich in den Momenten an, als hätte ich meine kleinen Kinder verloren, verlassen und ein schwerer Stein drückt mir auf die Brust.

Traurigkeit und schlechtes Gewissen – miese Kombination

Stimmt natürlich nicht. Ich merke aber, dass ich scheinbar genau dieser Kleinkind Zeit nachtrauere. Damals war die Welt für meine Jungs noch in Ordnung. Mama und Papa waren noch zusammen, für sie war alles gut. Ich bin aufgegangen in meiner Mutterrolle. Im Nachhinein verklärt mein trauriges Herz die Jahre mit den kleinen Kindern gnadenlos. Lasse ich mich in die düsteren Gefühle fallen, ist es wie ein schwarzes Loch aus Traurigkeit, aus dem ich mich mühsam wieder heraus kämpfen muss. Und das ist manchmal mächtig schwer.

Da braucht es eine Strategie, Selbstfürsorge und Schutz. Und die Befreiung von alten Rollenbildern und Glaubenssätzen. Denn das schlechte Gewissen (was hätte ich anders/besser machen müssen, jetzt ist es zu spät) ist ein stichelndes Monster, dass sich versucht tief in meine Erinnerungswelt zu graben. Es hinterfragt alles Gute, alles was geschehen ist. Doch dagegen kämpfe ich an. Auch, wenn es nicht immer so gelingt, wie ich es mir erhoffe. Aufgeben ist keine Option.

Mir hat es geholfen nachts aufzustehen, ausgiebig zu weinen und mich anschließend abzulenken, am besten mit einem Buch. Eben auf andere Gedanken kommen. Man kann das gleiche tiefe Tal nicht dauernd durchwandern.

Es ist schon klar, dass manche meiner Entscheidungen vorrangig für mich gut waren. Aber ich habe gelernt – und das hat lange gedauert – dass das ok ist. Schlechtes Gewissen kann mir gestohlen bleiben. Basta. Klappt eben nur nicht immer so einfach. Ich lerne aber gerade nachsichtig mit mir zu sein und merke, mit der Zeit wird es besser. Die Gedanken sind nicht mehr so oft auf die Kinder gerichtet, die Ängste werden weniger und das Leben fühlt sich wieder leichter an.
Time is your friend!

Manina Virnau in Maisfeld
I’m free to do what I want…. 🙂

10 Tipps die du ausprobieren solltest

  1. Die Trauer zulassen – und je mehr ich mich mit Dingen beschäftige über die ich mich freue, umso besser. Stichwort Selbstfürsorge.
  2. Dir gutes Tun – aber ohne schlechtes Gewissen bitte! Der Friseurbesuch dauert 3 Stunden? So what – siehe nächster Punkt.
  3. Ich muss gar nichts – das mache ich am liebsten. Ich muss nicht kochen, bis aufs Frühstück essen mein Mann und ich meist zu unterschiedlichen Zeiten und jeder etwas Anderes. Das ist toll – ich esse, wann und worauf ich Lust habe – nur für mich. Ein großartiges Gefühl, dass ich sehr genieße. Und auch sonst muss ich nur das, was ICH für MICH muss.
  4. Neues beginnen – Viele haben Hobbys, ich nicht – bis jetzt! Ich lerne neuerdings italienisch. Mein Französisch will ich wieder aufpolieren und Spanisch kommt gewiss auch noch dazu. Außerdem stehen Radtrails und Wandertouren und Kajak Abenteuer weit oben auf der Liste. Ach so und Reisen außerhalb der Ferien nicht zu vergessen.
  5. Freundeskreis aussortieren – Die Schulzeit ist vorbei. Höchste Zeit sich von praktischen Pflichtfreundschaften zu trennen. Hat den tollen Lerneffekt auch mal NEIN zu sagen – und tschüss.
  6. Deine Ziele verfolgen – Rücksicht war gestern. Nicht, dass du jetzt zum Egozentriker mutieren sollst aber seien wir ehrlich, ein bisschen mehr egoistische Zielstrebigkeit was deine Träume, Wünsche und Ziele anbelangt ist sicher drin. Also, go for it.
  7. Partnerschaft neu definieren – Da bin ich vermutlich nicht die Richtige um Tipps zu dem Thema zu geben. Ich habe mich nach über 17 Jahren Beziehung von meinem ersten Mann getrennt und bin jetzt seit 10 Jahren mit meinem zweiten Mann zusammen. Wir haben keine gemeinsamen Kinder. Trotzdem, ich denke, reden hilft. Die Paarbeziehung neu definieren und ausloten, was beim Anderen gerade los ist, auch. Da muss jede selbst wissen, ob und wie sie sich die künftige Zweisamkeit und Zukunft vorstellt.
  8. Rückzugsort schaffen – Du wolltest schon immer mal ein eigenes Zimmer? Was darf’s sein? Ein Atelier, Kino, Yogastudio, Ankleidezimmer, Büro oder eine Bibliothek? Und keine Angst, ein Schlafsofa passt immer irgendwo rein. Denn, das leere Kinderzimmer ist einfach nur ein Zimmer das genutzt werden will und kein Schrein.
  9. Und was ist mit den Kindern? – Gib dir und ihnen Zeit einen guten Rhythmus zu finden. Ich fahre zum Beispiel alle paar Wochen nach Deutschland und klappere die Jungs ab. Sollte mal einer keine Zeit haben ist das ok. Noch kann ich sie aber meist mit einer Restauranteinladung locken 🙂 Zwischendurch telefoniere ich mit ihnen über what’s app mit Kamera. Haben sie keine Zeit wird das Gespräch kurz. Mir tut es gut zu merken, dass sie ihren eigenen Alltag leben. Und da ist manchmal eben kein Platz für Mama. Dafür dann ein anderes Mal.
  10. Achte auf dich – Nimm dir Zeit für deinen Körper. Du bist vermutlich in einer Phase großer Veränderung. Lerne deine Befindlichkeiten wieder besser kennen und sorge gut für dich. Jetzt ist genau die richtige Zeit, dir selbst wieder nahe zu kommen und die Zeichen deines Körpers wahrzunehmen und sie verstehen zu lernen.

Mittlerweile freue ich mich auf die kommende Zeit mit und ohne meine Jungs. Ich weiß, wir werden noch viele wunderbare gemeinsame Erlebnisse haben und ich werde sie weiter begleiten und darf erleben wie sie ihr eigenes Leben gestalten. Eben mit ein bisschen Abstand aber mit nicht weniger Herz, Liebe und Unterstützung.

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